Beratung und Begleitung im Kontext pränataler Diagnostik

Projektbeschreibung

Ausgangslage:

Pränataldiagnostische Untersuchungen sind mittlerweile in der medizinischen Betreuung schwangerer Frauen weit verbreitet. Neue Verfahren erlauben immer öfter und zu früheren Zeitpunkten die Diagnose von Krankheiten und Behinderungen ungeborener Kinder, für die es keine medizinische Therapie gibt. Der rechtliche Rahmen erlaubt in den meisten europäischen Ländern bei einer solchen Diagnose auch noch nach dem dritten Schwangerschaftsmonat einen Abbruch durchzuführen. Über Tod und Leben ihres ungeborenen Kindes zu entscheiden, überfordert jedoch viele Eltern, wie Marianne Leuzinger-Bohleber in einer europaweit durchgeführten Studie feststellt.1

Schadensersatzklagen gegen Ärzte, die eine ungünstige Diagnose nicht eindrücklich genug vermittelt und so dazu beigetragen haben, dass diese Möglichkeiten der Abtreibung nicht in Anspruch genommen wurde, erzeugen in diesem Kontext einen Druck auf Ärzte2, der an schwangere Frauen weitergegeben wird.3

In der Frage, ob sie trotz der positiven, d.h. auffälligen Diagnose die Schwangerschaft fortführen oder abbrechen wollen, kann professionelle Unterstützung für die Entscheidungsfindung hilfreich sein. Diese Unterstützung ist Erfahrungsberichten Schwangerer zufolge jedoch noch keine Selbstverständlichkeit. An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt an. Es geht von der These aus, dass eine gute sozialmedizinische Versorgung im Bereich der Pränataldiagnostik neben einer medizinischen Aufklärung auch eine der Lebenssituation angepassten Beratung und Begleitung beinhalten muss.

 

Zielsetzungen:

Eine erste Sichtung des Materials lässt auf das Spektrum der Angebote in Österreich schließen, die Frauen bzw. Paare bei Entscheidungsprozessen nach einem auffälligen Befund unterstützen. Das Projekt möchte in einem ersten Schritt zu einer Vernetzung dieser schon bestehenden Angebote beitragen bzw. deren Wahrnehmung stärken. Dies ist gerade angesichts eines weitgehenden Informationsmangels in der Bevölkerung4 bezüglich pränataler Diagnostik und ihrer Folgen von hoher gesellschaftlicher Relevanz. 

Erfahrungsberichte zeigen, dass die Entscheidung über den Umgang mit einer wahrscheinlichen Behinderung oder Krankheit des Kindes von unterschiedlichen Faktoren geprägt und beeinflusst wird. Die wissenschaftliche Zielsetzung des Projekts ist daher die Untersuchung dieser Faktoren im Hinblick auf ihre Bedeutung im Entscheidungsprozess. Auf dieser Basis sollen Bedingungen für einen Beratungsprozess identifiziert werden, der auf diese Faktoren Rücksicht nimmt. Damit soll die Grundlage geschaffen werden, um in einem weiteren Schritt in interdisziplinärer Kooperation über Maßnahmen zur Herstellung des bestmöglichen Beratungs- und Begleitungsangebots in Österreich zu verhandeln. 

 

1 Marianne Leuzinger-Bohleber et al. (Hg.), The Janus Face of Prenatal Diagnosis: A European Study Bridging Ethics, Psychoanalysis and Medicine, London 2008.
2 Ein Arzt schildert seine Erfahrung aus seiner gynäkologischen Praxis: „Früher konnte ich einer Frau, die zur Beratung und Begleitung einer erwünschten Schwangerschaft in meine Praxis kam, gratulieren und mich mit ihr über das erwartete Kind freuen. Jetzt muss ich schon bei der ersten Begegnung über mögliche Risiken und die vorgeburtlichen Untersuchungen informieren. Dabei gibt es Frauen, die eigentlich lieber gar nichts wissen möchten. Aber ich muss doch mit ihnen darüber reden, denn wenn ein Kind mit einer Behinderung auf die Welt kommt, dann hänge ich in einer Haftpflichtangelegenheit. Ich erlebe aber auch, dass Paare mir schon unter der Türe sagen, dass sie alle möglichen Tests machen wollen, weil sie eine Garantie für ein gesundes Kind fordern. Eine solche Garantie gibt es ja gar nicht! Solche Paare schicke ich in die Uniklinik, das ist mir zu heiss.“ Suzanne Braga, Pränatale Diagnostik, eine Technik im Wandel. Bedeutung der Beratung im Spiegel der Entwicklung, in: Denise C. Hürlimann, Ruth Baumann-Hölzle, Hansjakob Müller (Hg.), Der Beratungsprozess in der Pränatalen Diagnostik, Bern (u.a.) 2008, 13-23, hier 15.
3  Vgl. hierzu etliche Erfahrungsberichte, z.B.: Monika Hey, Mein gläserner Bauch. Wie die Pränataldiagnostik unser Verhältnis zum Leben verändert, München 2012.
4 Vgl. die deutsche Studie: Bundeszentrale für gesundheitlich Aufklärung (Hg.), Schwangerschaftserleben und Pränataldiagnostik. Repräsentative Befragung Schwangerer zum Thema Pränataldiagnostik, Köln 2006, 38f.