Gesundheitsdaten

 

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Projektbeschreibung

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Ausgangslage

Die zunehmende Verfügbarkeit digitaler Gesundheitsdaten und deren Verwendung in Forschung und klinischer Anwendung in der Medizin hat das Potenzial, die ärztliche Tätigkeit, die Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen, Gesundheitsinstitutionen, aber auch gesamte Gesundheitssysteme grundlegend zu verändern. Angetrieben durch Digitalisierung, Innovationen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) und den Aufbau dafür notwendiger Infrastrukturen sind schon heute einige weitreichende Veränderungen eingetreten. Unter anderem zeigen Ansätze der umfassenden Phänotypisierung anhand multimodaler digitaler Daten, z.B. genetischer, bildgebender Daten in der Medizin mögliche Entwicklungswege einer datengetriebenen Medizin.1 Eine wichtige Innovation ist in diesem Kontext der «Digitale Zwilling», das heißt eigenständige datenbasierte Reproduktionen und Simulationsumgebungen des menschlichen Körpers. Die Zusammenführung von Gesundheitsdaten und ihre Auswertung mit KI ist mit Hoffnungen verbunden, ÄrztInnen von Routinen zu entlasten und damit Zeit und Freiheit für eine vertiefte ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung zu ermöglichen und so langfristig die Versorgungsqualität des Gesundheitswesens aufrecht zu erhalten und zu verbessern.2  

Der besonderen Bedeutung der Gesundheitsdaten entsprechend hat die Schweiz nunmehr unter der Bezeichnung «DigiSanté» ein umfassendes Programm zur Förderung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen in Gang gesetzt.3  Dieses soll vor allem im Wege von vier strategischen Zielsetzungen die erforderlichen Maßnahmen vorbereiten (1) zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, (2) zur verbesserten Abstimmung der entsprechenden Umsetzungsaktivitäten, (3) zur gesteigerten Effektivität und Effizienz der Gesundheitsversorgung durch Standardisierung und Herstellung von Interoperabilität, sowie schließlich (4) zur rechtlichen Verankerung der Datenzugänge und Datenregeln.

Die Ausrichtung des Gesundheitswesens auf Daten wird aber auch kritisch diskutiert, etwa bei der Einführung des elektronischen Patientendossiers.4 Es ist zudem umstritten, inwieweit eine zunehmend auf Daten fokussierte Medizin für die ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung vorteilhaft ist.5 Neue Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf Datenschutz, Regulierung und Governance, ergeben sich auch bei Ausbau und Weiterentwicklung von Dateninfrastrukturen im Gesundheitsbereich, wie Datenintegrationszentren, welche zukünftig die Mehrfachnutzung medizinischer Daten in der Forschung ermöglichen sollen.6 Diese Entwicklungen gehen einher mit der verstärkten und kontinuierlichen Erfassung von Lebensstil- und Gesundheitsdaten von PatientInnen, zunehmend auch außerhalb gewohnter Versorgungskontexte.7

 

Problemstellung

Die Nutzung von Gesundheitsdaten verspricht optimierte Gesundheitsversorgung, wissen-schaftlichen Fortschritt und wirtschaftliche Vorteile. Aus ethischer, rechtlicher und politischer Perspektive bestehen grundlegende Fragen, insbesondere hinsichtlich des Datenschutzes, der Auswirkungen auf PatientInnen sowie des Rechts auf Datennutzung, der Datensouveränität, der digitalen Selbstbestimmung und der Regulierung von Datenzugängen.8 Den Potentialen für Prävention und Forschung stehen grundsätzliche ethische Fragen gegenüber, die die Freiheit des Einzelnen und die Gerechtigkeit in der Gesellschaft betreffen. Aus (sozial-)ethischer Perspektive stellen sich angesichts der digitalen Vernetzung von Gesundheitsdaten grundlegende Fragen nach der Ausgestaltung der Privatsphäre, gesellschaftlicher Solidarität und der Ausbalancierung von individuellen Ansprüchen und sozialen Verpflichtungen. Zudem ist zu bedenken, dass es sich bei Gesundheitsdaten nicht um einen klar abgegrenzten Datenbereich handelt, sondern sämtliche Daten auch eine gesundheitliche Relevanz haben können. Auch muss die zunehmend internationale Nutzung von Gesundheitsdaten berücksichtigt werden.

 

Fragestellungen

Um die Chancen und Risiken dieser Entwicklungen besser einschätzen zu können, soll das vorgeschlagene Projekt eine Aufarbeitung zentraler Fragestellungen leisten, die den Wert von Gesundheitsdaten aus drei Blickwinkeln beleuchtet:

(1) Gesundheitsdatenanwendungen: Bestandsaufnahme und Reflexion von (technischen) Bereichen der Datenerhebung und Datenverwendung, wie z.B. zu Zwecken der Früherkennung und Prävention in der personalisierten Medizin;

(2) Gesundheitsdatenakteure: Erforschung von Rollen und Wirkungen unterschiedlicher Akteursgruppen sowie (möglichen) Auswirkungen der zunehmenden Rolle von Gesundheitsdaten auf diese;

(3) Gesundheitsdatenwesen: Aufarbeitung systemischer, rechtlicher und politischer Aspekte im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen, sowie damit verknüpfte sozialethische Fragen der Datensolidarität, insbesondere im Hinblick auf Diskussionen über Datenspende und Datenteilung. 

 

 

1 Für einen Überblick siehe Topol, E.J. (2019), High-performance Medicine: The Convergence of Human and Artificial Intelligence, in: Nature Medicine 25, 44–56; aus rechtlicher Perspektive do Canto, P. (2020), Gesundheitsdaten in der digitalen Welt, sic!, 177–182; Ladeur, K.-H. (2016), ‘Big Data’ im Gesundheitsrecht – Ende der ‘Datensparsamkeit’?, DuD 40 (6), 360–363.

 

2 Die FMH-Ärztestatistik 2023 hat gezeigt, dass sich ÄrztInnen infolge der hohen administrativen Belastung wenig Zeit für die PatientInnen nehmen können, was zu einer Verschlechterung der Versorgungsqualität führt. Hostettler, S.; Kraft, E. (2023), FMH-Ärztestatistik 2023 – 40% ausländische Ärztinnen und Ärzte, Schweizerische Ärztezeitung (2024), 32–36.

 

3 Siehe unter www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/digisante.html; (letzter Zugriff: 20.08.2024).

 

4 Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG), SR 816.1; vgl. hierzu etwa Rostetter, A. (2023), Elektronisches Patientendossier: Die Ostschweizer Kantonsregierungen fordern einen Marschhalt, NZZ v. 06.12.2023, abrufbar unter: www.nzz.ch/schweiz/elektronisches-patientendossier-die-ostschweizer-kantonsregierungen-fordert-einen-marschhalt-ld.1769280 (letzter Zugriff: 05.06.2024).

 

5 Vgl. hierzu die Forderung nach einer «smarteren» Vernetzung der Ressourcen des Gesundheitswesens, insbesondere zu Zwecken einer verbesserten Versorgung älterer PatientInnen mit chronischen Erkrankungen, wie sie u.a. als Fazit des Nationalen Forschungsprogramms Gesundheitsversorgung (NFP 74) formuliert ist unter: www.nfp74.ch/de/WW3T81gCZ6vTbLpX/seite/ergebnisse (letzter Zugriff: 05.06.2024).

 

6 Siehe die Medienmitteilung des Bundesrats vom 04.05.2022: «Bundesrat will der Forschung eine bessere Nutzung von Gesundheitsdaten ermöglichen», abrufbar unter: www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-88631.html (letzter Zugriff: 05.06.2024).

 

7 Meidert U. et al. (2018), Quantified Self – Schnittstelle zwischen Lifestyle und Medizin (2018). 

 

8 Vgl. hierzu das am Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI) im April 2024 abgeschlossene Forschungsprojekt zum Thema «Datenzugangsregeln»: zevedi.de/themen/datenzugangsregeln/ (letzter Zugriff: 05.06.2024); aus der Perspektive der auf Datenzugänge angewiesenen medizinischen Forschung, insb.im Hinblick auf Biobanken, siehe v.a. Starkbaum, J. ; Felt, U. (2019), Negotiating the reuse of health-data: Research, Big Data, and the European General Data Protection Regulation,in: Big Data & Society, 1–12.